„Philosoph trifft Silberrücken!“

…so eröffnet Richard David Precht das ausgezeichnet besuchte Panel zum Thema „Das Digitale und Wir – Gesellschaft und Wirtschaft im Umbruch!“ …um gleich noch einmal zuzulegen: „Ihre Kompetenz schwimmt in einem Meer von Inkompetenz! Und die einzige Kompetenz, die ich als Philosoph habe, ist: Inkompetenz-Kompensationskompetenz!“
Na ausgezeichnet! Hier scheint es wirklich kompliziert zu werden. Obwohl es in diesem Panel doch um folgende Fragestellung gehen sollte: „Was macht der technologische Umbruch mit Gesellschaft, Politik, Wirtschaft – und gibt es Lösungsansätze für die digitale Zukunft?“ Doch Irrtum: mit seinem pointierten und treffsicheren Input beleuchtete der Star-Philosoph das sperrige Thema aus unterschiedlichsten Perspektiven, um dann gemeinsam mit Christine Antlanger-Winter (Country Director Google Austria), Peter Bosek (Chief Retail Officer Erste Group Bank AG), Peter Lammerhuber (CEO GroupM Austria) und gemeinsam mit dem Chair Gerold Riedmann (Managing Director Russmedia Verlag GmbH) in eine kurzweilige Diskussion einzusteigen.
Schnell war Precht bei der Frage, ob Demokratien, die sich seit dem 19. Jahrhundert in einer Liason mit dem Kapitalismus als die erfolgreichste Gesellschaftsform durchsetzten, in dieser Form noch Zukunft haben? Ob Demokratien in ihrer inherenten Entscheidungslangsamkeit im Zeitalter von Digitalisierung und AI bestehen können? Und ob nicht zurecht viele Entscheider heute nach China blicken, wo die Dinge einfacher und schneller zu funktionieren scheinen und immense Investitionen in Digitalisierung und Artificial Intelligence (alleine die Stadt Shanghai investiert jährlich mehr in AI als die gesamte Bundesrepublik) getätigt werden?
„Nein, Demokratie ist absichtlich langsam! Die Verlangsamung der Demokratien hat Methode! Wir sollten uns alle nicht von einer Momentaufnahme der Geschichte täuschen lassen!“
– Richard David Precht
So die klare Antwort des Philosophen: „Wir müssen von China nichts lernen. China lebt nicht von der Digitalisierung, sondern von Old Economy und steht vor einem gigantischen demografischen Problem!“
Um dann in einem Plädoyer gegen Demokratieverkürzung nachzulegen: „Demokratien haben mit Bedrohungen aus der Digitalisierung zu tun, die wir heute alle unterschätzen:
- …wir werden mit Lösungen aus der AI zu tun haben, für die es keine Begründungen mehr gibt, da es sich um maschinell erzeugte Statistik handelt – obwohl unser gesamtes Gesellschaftsleben auf Basis von Begründungen und Argumenten besteht. Das bedeutet, dass wir Gefahr laufen, dass unsere demokratischen Klärungsprozesse von AI reduziert werden!
- …natürlich befinden wir uns in der 2. Industriellen Revolution: aber jetzt geht’s nicht darum die „menschliche Hand“ zu ersetzen, sondern das „menschliche Hirn“. Und wir stehen ganz am Beginn – sozusagen im digitalen Kindergarten: jetzt geht’s erst so richtig los! Wir befinden uns in einer digitalen Vorstufe, in der wir eigentlich nur analoge Daten in ein digitales Umfeld übertragen.
- …damit stecken wir in einem ungeheuerlichen Transformationsprozess in eine andere, neue Art von Gesellschaft: Ausgang ungewiss. In der Vergangenheit hat das langfristig durchaus immer zu einer besseren Gesellschaft geführt. Aber für alle betroffenen Individuen hat das oft dramatische Auswirkungen, wie z.B. Massenarbeitslosigkeit!
„Das Ausmaß der Disruption aus der Digitalisierung, hat es seit dem 2. Weltkrieg so noch nie gegeben – deswegen sind wir auch überfordert sie zu bearbeiten!“
– Richard David Precht
Und damit ist das gesamte Panel schon mitten in der Diskussion rund um Jobs und Kompetenzen der Zukunft.
Peter Bosek, Chief Retail Officer der Erste Bank, sieht die Digitalisierung als Chance für die Finanzindustrie: „In einer ersten Phase haben wir Digitalisierung primär genutzt, um neue Kundenkontaktkanäle anzubieten. In der jetzigen Phase nutzen wir die Digitalisierung primär zur Automatisierung unserer Back Office Bereiche!“ Das Problem Nr. 1 aus seiner Sicht: die Umverteilung am Arbeitsmarkt und die anhaltende Fehlentwicklung in der Bildung!
„ Ich hasse Power Points und Business Cases. George zum Beispiel kennt bis heute keinen Business Case – da sind einfach die richtigen Leute zusammengekommen und waren von einer Idee überzeugt! Wir brauchen viel mehr mutige Querdenker!“
– Peter Bosek
Doch halten heutige Unternehmensrealitäten dem immer lauteren Rufen nach mutigen Entscheidern, unternehmerischen Führungskräften und Querdenker stand?
„Querdenker sind super! Aber welcher Abteilungsleiter will mit der „Querdenker-Wildsau, die da durchs Unterholz bricht“ zu tun haben?“ so Precht. „Wenn sie heute etwas Mutiges und Neues machen, dann ist vor allem in Europa die Tendenz der Ablehnung schon im Prozess enthalten – und Artificial Intelligence wird diese Tendenz verstärken!“
Das beschäftigt überraschender Weise auch Google. „Wir versuchen als Konzern ja Informationen zu liefern, um das Leben der Menschen einfacher zu machen!“, so Christine Antlanger-Winter, Country Director Google Austria. „Aber die Fülle der Informationen birgt auch die Gefahr, wesentliche Beiträge zu übersehen. Das beschäftigt uns sehr. Und wir arbeiten intensiv an „psychological safety!“
Zur Zukunft der Berufe kommentiert Peter Lammerhuber, CEO GroupM Austria: „Natürlich kostet die Digitalisierung langfristig Arbeitskräfte! Allerdings benötigen wir für diese Transformation aktuell sogar mehr Arbeitskräfte, die wir derzeit nicht finden!“ Precht: „Ja, und wir werden neue und mehr Berufe brauchen, die uns die Digitalisierung nicht abnehmen kann: Empathieberufe oder „Drehbuchautoren“ der Automatisierung! Und da geht’s nicht nur um ein paar hochbegabte Programmierer, sondern um Automatisierung mit gesellschaftlicher Akzeptanz. Jedes digitalisierte Geschäftsmodell wird nur so erfolgreich sein, wie seine Akzeptanz in der Gesellschaft. Und die braucht Abwechslung, die wiederum Digitalisierung per se nicht bietet!“ Auch Peter Bosek stimmt da sofort zu: „Ich brauche heute Kundenbetreuer, die Weltmeister des „Zuhörens“ sind!“
Bleibt die große Frage: Quo Vadis Digitalisierung? Was ist der richtige nächste Schritt?
Wenn das Bestehende beginnt, seine Würde zu verlieren, dann ist das Bestehende gefährdet!
Precht appelliert an Politik, Gesellschaft und Wirtschaft gerade im Zusammenhang mit Digitalisierung und AI die zentrale Aufgabe „Würde zurückzugewinnen“ nicht aus den Augen zu verlieren und darauf aufbauend eine Vision für die Zukunft unserer Gesellschaft zu entwickeln. Er warnt gleichzeitig vor allem die europäische Politik, weiterhin würdelos und verschludert mit Digitalisierung und digitalen Medien umzugehen – an amerikanischen Vorbildern scheint es dabei ja leider nicht zu mangeln.
Es ist die Sehnsucht nach dem Sinn und dem Warum der Digitalisierung, die dieses Panel aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Es ist die Überzeugung, dass Digitalisierung anders gehen kann – als Mittel und nicht zum Zweck: mit Menschen im Mittelpunkt. Und es überzeugt, dass wir diese Transformation aus eigener Kraft gestalten können. Mit einem klaren Bekenntnis und mutigen, ersten Schritte in Würde!
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