Die „neue Normalität“? oder einfach „die Grenzen virtueller Zusammenarbeit“?

Virtualität Zusammenarbeit
Unabhängig davon, ob „neue Normalität“ nicht sowieso zum Unwort des Jahres 2020 gekürt wird, regiert in vielen Organisationen ein erstaunlicher Radikalismus, der die vielen unterschiedlichen Facetten der virtuellen Zusammenarbeit auf Home-Office und Videokonferenzen reduziert. Soll das die Zukunft von Zusammenarbeit sein?

Wir sehen erst jetzt, was alles möglich ist.

Unbestritten, die Krise zeigt uns gerade, wie nützlich Home-Office, Videokonferenzen, online Trainings und virtuelle Workshops sind. Digitale Tools, vorher nur in mühsamen Prozessen und Stück für Stück schmackhaft zu machen, werden als die Zukunft der Zusammenarbeit gefeiert. Das Angebot steigt Tag für Tag. Zumindest das ist ein positiver Nebeneffekt aus der größten Gesundheitskrise, die wir jemals erleben mussten.

Obwohl bis vor kurzem in vielen Organisationen eine ausgeprägte Präsenzkultur zum guten Ton gehörte, wurden die vorhandenen technischen Möglichkeiten, digital miteinander zu arbeiten und zu kommunizieren nur vereinzelt genutzt. Erst die Krise hat das Spielfeld neu geordnet.

Wenn wir jetzt vom endgültigen Durchbruch der virtuellen Zusammenarbeit sprechen und die Quarantäne-Bedingungen als Maß aller Dinge darstellen, dann bin ich sicherlich nicht dabei! Zumindest nicht überall! Auch nicht bei einem gesetzlich verankerten Recht auf Home-Office, wie es jetzt sogar in Deutschland diskutiert wird. Da wird zu wenig differenziert und, wie in unseren Zeiten üblich, das Thema auf ein paar wenige Aspekte reduziert.

Quarantäne: Nein Danke! Ich sehne mich nach persönlichen Begegnungen.

Aus der Kommunikationswissenschaft wissen wir: Sprache ist nur ein Teil unserer Kommunikation. Wir kommunizieren immer auf mehreren Ebenen miteinander – oder auch gar nicht. Aber auch das ist Kommunikation, wie uns schon Watzlawick lehrte. Die verschiedenen Ebenen der Kommunikation haben für uns eine sehr unterschiedliche Relevanz: für Wahrnehmung, Gehörtes, Verstandenes und „Übersetztes“. Viel stärker als das gesprochene oder das geschriebene Wort wirken Körpersprache; Mimik, Gestik und Tonalität. Letztendlich ist Kommunikation: Verhalten. Und so wird ganz klar: wir können uns halt nicht nicht verhalten!

Wir sind von Kind an darauf trainiert, genau wahrzunehmen, wie jemand eine Botschaft formuliert. Es macht einen großen Unterschied, ob eine Botschaft laut, leise, voller Emotionen, ironisch oder mit steinerner Miene gesendet wird. Zwischentöne und nicht Gesagtes sind oft entscheidend und unsere Intuition übersetzt uns all diese Impulse in unser ganz persönliches Ergebnis.  Aus der Neurowissenschaft wissen wir, dass Face-to-Face Kommunikation die sogenannten Spiegelneuronen in unserem Gehirn aktiviert. So können wir die Emotionen und Absichten anderer Menschen verstehen und bauen vertrauensvolle Beziehungen auf. Natürlich erleben wir über Video ungleich mehr als über Telefon, @mail und sonstige Kommunikationstools: aber die Nähe zu unseren Gesprächspartnern ersetzt das nicht.

Das Reiz-Reaktion-System der Empfänger funktioniert halt nur ganzheitlich perfekt und (leider) oft auch unbewusst.  Über Mimik, Körperhaltung und Augenkontakt geben wir zu verstehen, dass wir präsent sind, bewerten, zuhören – oder auch nicht! Das erst erzeugt tatsächliche Interaktion.

Zusammenarbeit braucht mehr als Home-Office und Videokonferenzen

Der vorübergehende Zwang zum Digitalen lässt uns momentan sicherlich vieles lernen: vor allem aus technischer und organisatorischer Sicht. Zusammen Arbeiten, geht jedoch weit über Home-Office und Videokonferenzen hinaus.

Wenige von uns haben gelernt, auf Dauer virtuell miteinander zu arbeiten.  Während vor Corona eine halbwegs klar strukturierte Agenda das Maß aller Dinge war, stehen wir nun vor ganz neuen Herausforderungen.

Ein „mehr“ an Möglichkeiten, erfordert auch immer ein „mehr“ an guten Entscheidungen. Und wenn wir davon ausgehen, dass gute Zusammenarbeit für unternehmerischen Erfolg weiterhin ein wesentlicher Erfolgsfaktor bleibt, sollten wir besonders auf die Qualität der Kommunikation achten: virtuell und analog.

Erfahrene „remote worker“ berichten, dass die wahrscheinlich größten Herausforderungn aus folgenden Aspekten besteht:

  • One-Fits-All funktioniert auf keinen Fall: die bewusste Entscheidungen, welches „Werkzeug“ für welches „Problem“ wird zukünftig für Präsenz- oder virtuelles Meeting, Home-Office oder Anwesenheit bzw. Tool A oder B noch wichtiger als in der Vergangenheit.
  • Struktur, Struktur, Struktur: viel mehr als im analogen Zeitalter entscheiden die gute Vorbereitung, Moderationsqualitäten, Tool-Fitness der Teilnehmer und Qualitäts-Mindeststandards in der Organisation über Erfolg und Misserfolg der virtuellen Zusammenarbeit.
  • Gemeinsames Verständnis über Informationen, Fakten, Todo´s oder Entscheidungen sicherstellen: Wie wenn ein leichter Schleier über jedem Einzelnen hängen würde, entstehen oft Missverständnisse oder wichtige Informationen gehen schlichtweg verloren. Einmal entstandene Probleme und Konflikte können kaum gelöst werden.
  • Teamkultur (weiter) entwickeln: Für Teams, die sich selten persönlich treffen, ist es schwer einen gemeinsamen Spirit zu entwickeln. Es fehlt das große Ganze und das unausgesprochene Ineinandergreifen in den gemeinsamen Abläufen, das gemeinschaftliche Erleben und das miteinander Feiern.

Ich meine, all die Facetten von virtueller Zusammenarbeit, Home-Office, Videokonferenzen usw. erleben einen absoluten Boom: (Sehr) gut so! Sie geben dem Zusammenarbeiten neue Effizienz und neue Effektivität. Persönliche Begegnungen ersetzen, können sie nicht.

2020-09-04T14:46:41+02:00