Outside In statt Inside Out – Teil 3 der Artikelserie zur Zukunft der Kundenberatung

Freibanker Partner Bank

Solange Verkaufs-Kampagnen geplant, Ziele vereinbart und auf deren Einhaltung gepocht, Prozesse optimiert, Performance gemessen, Verkaufen trainiert und persönliche Beratung als ein Kanal im Vertrieb erachtet werden, wird von innen nach außen gedacht.

Während Berater*innen Produkte verkaufen und ihre „Funktion“ im Vertrieb erfüllen, ist man an der wichtigsten Verbindungsstelle zum Markt taub für die Botschaften der Kund*innen und vernachlässigt das menschliche Potenzial in der Kundenberatung.

Auf den Menschen kommt es an! Und was heißt das wirklich?

Eigentlich hat es uns Douglas McGregor schon 1960 in seinem Buch „The Human Side of Enterprise” ganz klar gesagt. Mitarbeiter*innen, die durch Command & Control geführt werden wollen (Theory X) gibt es nicht.

Vielmehr sind alle Menschen der Theory Y zuzuordnen, die durch ganzheitliche Aufgaben und Selbstkontrolle motiviert werden. Es hängt nur von der Gestaltung der Rahmenbedingungen ab, ob wir ein Verhalten nach Theory X oder Theory Y beobachten können.

Um Kund*innen zu begeistern und Mitarbeiter*innen zu entfesseln müssen die Menschen in den Mittelpunkt gestellt werden.

Wir müssen Beratung rund um die Menschen bauen, ein positives Menschenbild einnehmen, uns auf ihre Empathie und Problemlösungskompetenz stützen und ein neues zusammen Arbeiten etablieren.

Dazu haben wir vier Thesen formuliert:

1. Story Listening statt Story Telling

In „Interact or Die“ (Teil 2 dieser Artikelserie) haben wir darüber berichtet, dass wenn Banken und Finanzdienstleister zum richtigen Zeitpunkt mit passenden Lösungen bei ihren Kund*innen präsent sein wollen, es notwendig ist, mit Kund*innen in irgendeiner Form zu interagieren.

Auf die ganz einfachen Fragen: „Wie geht es Ihnen heute?“, „Was beschäftigt Sie gerade?“ und „Wie kann ich Ihnen helfen?“ erzählen Kund*innen Geschichten, die Menschen seit Jahrtausenden verstehen und die jeder von uns, von Kind an „lesen“ lernt.

Werden diese Geschichten nicht nur im Alltag als Nachbarn, Freunde oder zufällig Bekannte, sondern auch im beruflichen Kontext wahrgenommen und verstanden, wird in kürzester Zeit klar, welche situativen Rollen Kund*innen gerade einnehmen, welche Anliegen sie dabei verfolgen und bei welchen Aufgaben sie gerne unterstützt werden wollen.  

Gelingt es aktiv auf Kund*innen zuzugehen und offen für ihre Geschichten zu sein, begegnen wir Kund*innen auf Augenhöhe. Langwierige Bedarfsanalysen und Datenerhebungen auf Vorrat gehören der Vergangenheit an.

2. Aufgaben-Landkarten statt Vertriebs-Prozess 

In „Raus aus der Massenproduktion“ (Teil 1 dieser Artikelserie) haben wir darüber berichtet, wie vorteilhaft es ist, den Kundenbedarf als konkrete von Kund*innen zu erledigende Aufgaben zu betrachten.  

Und wir haben ausgeführt, dass Customer Journeys individuellen Routen entsprechen, entlang derer Kund*innen die Erledigung von Aufgaben situativ und eigenständig zusammenstellen. Genau diese Unabhängigkeit der Aufgaben erlaubt es, Produkt-, Service und Beratungsangebote modular zur gestalten.

Werden nun die Aufgaben als von Kunde*innen wählbare Destinationen auf Landkarten aufgetragen, können Berater*innen einfach und rasch erkennen, wo sich Kund*innen auf ihrer Reise gerade befinden und sie bei der Erledigung ihrer Aufgaben von einer Station zur nächsten begleiten.

Anstatt aus Vertriebsperspektive gedachte Analyse-, Beratungs- und Betreuungsprozesse zu exekutieren, unterstützen Berater*innen genau die Aufgaben, die Kund*innen situativ und im konkreten Kontext mit passenden Produkt-, Service oder Beratungsmodulen gerne erledigen wollen.

Die gemeinsame Zeit von Kund*innen und Berater*innen wird als sinnvoll und wertstiftend empfunden, Überberatung vermieden und ein Großteil der Vor- und Nachbereitungszeiten für Kundentermine eingespart.

3. Gesamthafte Perspektiven statt Schuldzuweisungen

Fügt man die Aufgaben-Landkarten geordnet nach den Bedarfsfeldern der Kund*innen z. B. Anlegen, Finanzieren, Vorsorgen, Versichern usw. zusammen entstehen ganze Landschaften darüber, wie Kund*innen ihre Aufgaben in Zusammenarbeit mit ihrer Bank bzw. ihrem Finanzdienstleister gerne erledigen wollen.

Bei jeder Destination auf ihren individuellen Routen entscheiden Kund*innen über das dort für sie passende Medium, innerhalb dessen sie mit der Bank oder ihren Berater*innen in Interaktion treten wollen. Auf Basis des für sie empfundenen Mehrwerts bei der Erledigung ihrer funktionalen, sozialen und emotionalen Aufgaben legen Kund*innen fest, ob sie dafür ein bestimmtes Produkt, ein digitales Service, eine persönliche Beratungsleistung oder einen Mix daraus wählen.

Aus Perspektive der Bank bzw. des Finanzdienstleisters entsteht ein differenziertes Gesamtbild. Es wird sichtbar, bei welchen Aufgaben Kund*innen gerne wie unterstützt werden wollen und ob die angebotenen Leistungen auf der “Angebots-Plattform“ den Erwartungen der Kund*innen entsprechen.

Die Aufgaben stellen klare Anforderungsprofile dar. Auf deren Grundlage kann entschieden werden, welche Produkte, Services und Beratungsleistungen über welche Medien noch näher beleuchtet, feiner differenziert, weiterentwickelt, besser zugekauft oder auch aufgelassen werden sollen.

So entstehen einzigartige Positionierungen ausgehend von echten Kund*innen in realen Kontexten. Der Fokus von Innovation und Weiterentwicklung wird dorthin gelenkt, wo er für bestehende Kund*innen das größte Mehrwertpotenzial verspricht.

Persönliche Beratung in einer Sonderrolle

Die persönliche Interaktion ist nur eine unter den verfügbaren Interaktions-Möglichkeiten. Ihr kommt aber besondere Bedeutung zu,

Sie ist das Medium für komplexe Aufgabenstellungen und stellt eine Art „letzte Reserve“ dar, falls für die Erledigung einer bestimmten Aufgabe (noch) kein passendes Produkt bzw. kein geeignetes digitales Service verfügbar ist oder dessen Einsatz für Kund*innen in der konkreten Situation keinen Vorteil bringt.

In der konkreten Interaktion mit realen Kund*innen kann der spezifische Kontext i.S.v. Rolle und Anliegen von Kund*innen geklärt werden, können die Muster der Aufgaben, wie sie Kund*innen gerne erledigen wollen, „unverzerrt“ wahrgenommen und wertvolle Impulse für neue oder verbesserte Produkte und Services generiert werden.

Herkömmliche Methoden zur Einbeziehung von Kundenperspektiven, wie z. B. Kundenbefragungen, Kundenkonferenzen usw. geben den Kontext echter Beratungssituationen nicht wieder. Sie liefern „verzerrte“ Bilder, die meist in wenige konkreten Appellen und guten gemeinten Ratschlägen münden.

Arbeit am System und nicht am Menschen

Weil persönliche Beratung nur eine zur Auswahl stehende Interaktionsmöglichkeit darstellt, gilt es gesamthafte Perspektiven einzunehmen. Die differenzierte Wahrnehmung lenkt den Fokus auf die gemeinsame Arbeit beim Entdecken und Realisieren von digital- und persönlich unterstützten Verbesserungspotenzialen,

Komplizierte Verfahren, die Performance von Mitarbeiter*innen bzw. ihrer Einheiten zu messen, verlieren an Bedeutung, das Planen und Runterbrechen von Vertriebszielen und die damit verbundenen Mess- und Kontroll-Aufwände können eingespart und auf falsch verstandene Führungsaufgaben (Command and Control) kann verzichtet werden.

4. Zusammen arbeiten statt getrennt funktionieren

Die Aufgaben-Landkarten als gemeinsames und objektiviertes Verständnis des Kundenbedarfs innerhalb eines Teams und für die gesamte Organisation, eröffnen die Möglichkeit, Teamzusammenstellungen neu zu denken.

Dabei werden Berater*innen nach ihren unterschiedlichen Kompetenzen, i.S.v. Expertisen bei der Unterstützung spezifischer Kundenaufgaben in Teams von max. 7 Mitgliedern zusammengefasst.

Ziel ist es, Kund*innen von einem sie betreuenden Team in all‘ ihren Rollen wahrzunehmen, ihre damit verbundenen Anliegen zu verstehen und sie bei der Erledigung ihrer konkreten Aufgaben mit Produkten, Services und Beratungsleistungen gemeinsam und ganzheitlich zu unterstützen.

Beratungsteams bestehen im Kern dann z. B. immer aus Veranlagungs-, Vorsorge-, Versicherungs- und Finanzierungsspezialisten inklusive Konto-, Karten- bzw. Zahlungs-Experten und werden ergänzt durch Berater*innen mit spezifischen Qualifikationen z. B. für Themen von vermögenden Privatkunden wie Immobilien-Management, Vermögensweitergabe usw.

Die Zusammensetzung von Teams, die sich um etablierte Unternehmenskunden eventuell sogar bestimmter Branchen wie z. B. Rechtsanwälte, Ärzte oder auch Handwerksbetriebe kümmern sieht anders aus, als z. B. Teams, die auf klassische Ein-Personen-Unternehmen oder Start-Up-Kund*innen ausgerichtet sind.

Über Kundenwert und Kundenpotenzial kann die Zuteilung zu bestimmten Teams ebenfalls gesteuert werden. Die regionale Verankerung von Kund*innen kann eine wesentliche Rolle spielen (Filialnetz!). Und auch unterschiedliche Pricings für die spezifische Kombination der Beratungsleistungen sind denkbar z. B. eigene Teams für die Aufgaben besonders vermögender Privatkunden. In Form von Familiy Offices sind diese ja bereits jetzt erfolgreich etabliert.

Das Wechseln von Kund*innen von einem bestehenden zu einem neuen, für die spezifischen Aufgaben „besser passenden“ Beratungsteam, wird durch die Aufgaben-Perspektive wesentlich erleichtert. Grundprinzip ist immer die Sicherstellung der ganzheitlichen Unterstützung bei der Erledigung der Aufgaben auf allen Bedarfsfeldern der Kund*innen.

Interne Kunden-/Lieferantenbeziehungen

Auch die Beratungsteams werden in ihren Aufgaben unterstützt. Interne Teams – ohne direkte Interaktion mit externen Kund*innen – sind als Produkt- oder Service-Owner bzw. Verantwortliche für standardisierte Beratungsmodule für die Gestaltung und kontinuierliche Weiterentwicklung dieser verantwortlich und betrachten die Beratungsteams als ihre Kunden.

Die Unterstützung der Beratungsteams mit internen Dienstleistungen wie z. B. die Aufbereitung von aktiven Kontakt-Impulsen durch ein Vertriebsmanagement-Team oder die Hilfestellung bei der Einhaltung von regulatorischen Rahmenbedingungen durch Rechts- bzw. Compliance-Teams kann auf diese Weise ebenso organisiert werden.

Durch die internen Kunden-/Lieferantenbeziehungen ist gewährleistet, dass die Leistungen kontinuierlich an die Erledigung der Aufgaben der jeweiligen Kund*innen angepasst werden.

Die Aufmerksamkeit der gesamten Organisation wird auf die Unterstützung der Erledigung der Aufgaben ihrer Kund*innen gelenkt und Ressourcen dort zugeteilt, wo sie am Markt unmittelbar benötigt werden.

Aus welchem Grund …

a) die Aufgaben der Kund*innen die digitalen und persönlichen Vertriebskanäle miteinander in Einklang bringen und 

b) es Mitarbeiter*innen besonderen Spaß macht und große Freude bereitet, Kund*innen bei der Erledigung ihrer Aufgaben zu helfen … 

… erfahren Sie in den weiteren Ausgaben dieser Artikelserie. Fortsetzung folgt! 

Zum Nachlesen

Wie sich die Aufgaben von Kund*innen dafür eignen den Mustern der Massenproduktion zu entkommen, erfahren sie in Teil 1 dieser Artikelserie.

Warum sich der Kundenbedarf erst situativ und im jeweiligen Kontext entwickelt und die persönliche Interaktion dabei eine besondere Rolle spielt, erfahren sie in Teil 2 dieser Artikelserie.

 

2022-02-25T14:26:44+01:00