Kann man Vertrauen digitalisieren? Die Filiale der Zukunft.

Digitalisierung
„Sein oder nicht sein?“  Mit dieser Frage rund um Ihr Filialgeschäft beschäftigen sich alle klassischen Retailbanken quer durch Europa seit Jahren. Der unverhoffte Digitalisierungsschub durch Covid-19 und  der ökonomische Druck auf das Finanzdienstleistungssystems heizt die Filialschließungsdiskussion weiter an.

Gleich vorweg: die klassische Bankfiliale hat auf alle Fälle ausgedient! Und das aus vielen Gründen: Kostendruck, verändertes Kundenverhalten, demografische Entwicklung, Urbanisierung, alternativen digitalen Prozessen und vielem mehr. Das ist der Lauf der Dinge. Videotheken, Schallplattenläden und Telefonzellen sind ja auch aus dem Straßenbild verschwunden. Benchmarks, Studien & Berichte beweisen den Konsolidierungsbedarf eindrucksvoll. Und nach den Direktbanken graben gerade Neobanken wie N26, Revolut und Monese den klassischen Filialbanken das Wasser ab.

Aber wie so oft wird auch in der Diskussion um die Daseinsberechtigung von Bankfilialen meistens vereinfacht. Es geht nicht um entweder – oder, Filiale oder Digitalisierung, sondern um ein sowohl als auch. Es geht um eine exzellente Symbiose von Digital & Analog. Und in der aktuellen Gesundheitskrise auch um: Sicherheit! Bankfilialen sind in dieser Ausnahmesituation eine emotional-kritische Infrastruktur. Nicht umsonst waren Schließungen in der Covid-19 Krise nie ein Thema. Nichts ist Herrn und Frau Österreich wichtiger als Ihre Gesundheit – und eben auch Ihr Geld.

Gesundheit & Geld – die Intimzone von Herrn und Frau Österreicher! Verständlicherweise!

Undenkbar, wenn das Vertrauen in die Institution Bank in diesen schwierigen Zeiten auch noch erschüttert würde. Undenkbar, wenn sich zur Angst der Bevölkerung um Ihre Gesundheit noch die Angst um Ihr Geld hinzufügen würde. Die Konsequenzen fürchten erfahrene Banker wie der Teufel das Weihwasser! Jeder erfahrene Banker kennt die Ereignisse aus 1923 und 1948 aus dem Lehrbuch und hat auch noch die kritischen Tage aus der Finanzkrise 2008 in den Knochen. Wir alle vergessen immer: es gibt kaum etwas fragileres als den Wert unseres Geldes. Denn ob wir einem Geldschein Wert beimessen, hängt von unserem Vertrauen ab. Und das – zeigte schon die Geschichte – kann durchaus flüchtig sein. „Geld ist daher vielleicht die konzentrierteste und zugespitzteste Form und Äußerung des Vertrauens in die gesellschaftlich-inhaltliche Ordnung“, wie schon der  deutsche Soziologe Georg Simmel in seiner 1900 veröffentlichten „Philosophie des Geldes“ feststellte.

Bankfilialen – so eigenartig das scheinen mag – sind für viele Kunden daher der subjektive, physische Beweis für die Gesundheit Ihrer Hausbank und somit auch ein wichtiger Aspekt für die Stabilität unseres Vertrauenssystems Geld. 

Aber was tun? Welches „Betriebssystem“ braucht die Filiale der Zukunft in einer digitalen Welt? Im Spannungsfeld zwischen „Bewahren“ und „Verändern“ auf alle Fälle eine Neupositionierung im Omni-Kanalmix und ein exzellentes Zusammenspiel aller Lösungskomponenten.

Neue Möbel sind nicht genug! Die Filiale der Zukunft ist ein postmodernes Gesamtkunstwerk und dient ausschließlich dem maximalen Kundennutzen!

Der Standort, der Raum, das Bühnenbild, die Kulissen, das Drehbuch, das Sound- und Lichtsystem – also die Technik – die Regisseure, die Darsteller und die Choreografie in der Bankfiliale der Zukunft müssen als „exzellentes Zusammenspiel“ inszeniert werden. Mit Mut und Radikalität.  Vor allem – und das ist hochrelevant – was Funktionalität und Kundenerlebnis betrifft.

Der Standort

Unabhängig von Corona ist die Neubewertung von Filiallandkarten evident. Eine weitere Konsolidierung zwingend notwendig. Doch oft sind die Entscheidungen zu Filialschließungen mehr aus der wirtschaftlichen Not, als strategischer Vorgehensweise getrieben. Kosten müssen oft unmittelbar und adhoc realisiert werden, Bewertungen erfolgen aufgrund rudimentärer Vergangenheitsdaten unter extremen Zeitdruck und die sorgsame Begleitung von  Stammkunden in alternative Kanäle ist aus Zeitgründen gar nicht möglich.  Daher braucht es zukünftig eine kontinuierliche Filialnetzoptimierung mit rollierender Bewertung der Filiallandkarten und mittelfristigen Umsetzungsplänen. Letztendlich drohen mit jeder Schließung oder Zusammenlegung immer auch um Kunden-, Volumens- und Ertragsverluste in Richtung Direkt- oder Neobanken.

Der Raum

Vieles wurde an Filialformaten in den letzten Jahren versucht – vom Flagship-Store bis zum reinen Beratungsstandort. Oft wurde jedoch die Rechnung nicht mit dem Wirt – also mit den Kunden gemacht und waren aus der Bank heraus getriebene Prestigeprojekte. Zukünftig dominieren voraussichtlich 2 Formate: die Selbstbedienungsfiliale, temporär besetzt und mit Videoberatungsmöglichkeit ausgestattet, und das klassische Full-Service-BeratungsCenter. Auch Pilot-Formate, wie z.B. die mobilen Bank-Busse der Kreissparkasse Köln und „Filiale-as-a-Service“, also die Konkurrenzbank in den eigenen Räumen (siehe Frankfurter Volksbank mit Sparkasse Taunus) werden immer mutiger gedacht.

Die Bühne

Der Zonierung des Filialraumes in Transaktions-, Service- und Beratungswelt ist heute schon state-of-the-art.  Oft liegt jedoch der Fokus in der Gestaltung weiterhin auf Nebenschauplätzen. Auf technischen Gimmicks, wie zum Beispiel dem wandfüllenden Multi-Touchscreen zur Abwicklung aller Bankgeschäfte. Für die Mehrheit der Kunden kaum relevant und für die beteiligten internen Bereiche oft die größten Herausforderungen.  Viele innovativen „Mehrwertangebote“, die heutige moderne Filialkonzepte dominieren, wie z.B. Innovations- und Veranstaltungsräume, Nahversorgungsangebote, Bildungsstätten oder Caféhäuser finden in der breiten Kundenschicht nur wenig Echo. Fokus ist gefragt.  Radikaler Kundennutzen das einzige Kriterium, das zählen sollte.

Das Bühnenbild

„Form follows function!“ und nicht umgekehrt. Oft verkommen moderne Filialkonzepte zu Bio-Öko-Wohlfühlwohnzimmern mit Café-Bar, in denen weder Mitarbeiter gut Ihrem Service- & Beratungsauftrag nachkommen können und Kunden verzweifelt nach Orientierung suchen. Natürlich gehören Schalterbarrieren und Marmorhallen der Vergangenheit an. Die Zukunft ist einladend, offen und modern: ein Empfangs- und Servicepoint nahe am Eingang, Übersichtlichkeit in der Selbstbedienungszone, alle Möglichkeiten des digitalen Angebotes und selbstverständlich weiterhin genug Diskretionsräume, um über intime Geldangelegenheiten zu sprechen. Die Filiale der Zukunft ähnelt weder einem Designmuseum noch der Abfertigungshalle eines Flughafens.

Das Sound- und Lichtsystem

Technik schafft Vorsprung. Zu sehr denken wir momentan Filiale und digitale Welt als getrennte Räume, die an der einen oder anderen Stelle miteinander verbunden werden. Aus Kundensicht braucht es ein exzellentes, vernetztes Zusammenspiel von analog und digital. Gerade jedoch die Bruchstellen lassen Kunden oft erkennen, dass die Digitalisierung mehr Schein als Sein ist. Kunden müssen entscheiden können, wann, wie und wo sie Beratung & Service in Anspruch nehmen. Einfach und intuitiv –für Mitarbeiter gleichermaßen. Apple lässt grüßen. An jedem Touchpoint verfügbare Kundeninformationen und auch ein neuer Anspruch an das digitale Know-How des Filialteams kann dabei wesentlich unterstützen.

Die Regisseure

In der Filiale der Zukunft ändert sich natürlich auch Rolle der Führungskräfte. In Zukunft gilt es mit Hospitality & Sales Leadership Mitarbeiter und Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Vorbei die Zeit der Rennlisten und „FilialleiterIn des Monats“.  Vorbei die Zeit hart abgegrenzte Sales Targets, getrieben durch Verkaufswettbewerbe und kleinteilig getrackten Wochenzielen. Sperrige Jahresbudgets und jährliche Mitarbeiterbeurteilungsgespräche weichen einer rollierenden, relativen Vertriebszielsteuerung. Ökonomische Ziele werden als Team bearbeitet. Filialen der Zukunft sind vor allem auch Orte der Kundenbeziehungen und werden durch CEO´s geführt: Chief Emotional Officer.

Die Darsteller

Nicht alle „Darsteller spielen“ die gleiche Rolle. Die Differenzierung von Teamrollen nimmt deutlich zu und unterscheidet sich zukünftig in Aufgaben und Kernkompetenzen.  Der POS – Point of Service – wird dabei das Kundenerlebnis nachhaltig positiv gestalten. Auch in der Luxushotelerie ist ein exzellenter Concierge die entscheidende Drehscheibe und oft bleibender Eindruck. Aber es braucht auch ein neues Zusammenspiel: von „mein Kunde“ zu „unserem Kunde“. Einerseits um maximalen Kundennutzen radikal zu ermöglichen und andererseits, um mit Teambetreuungsstrukturen oder über Multikanalgrenzen hinweg effizient zu agieren.

Die Choreografie

Exzellente Customer & Service Journeys dürfen keine „Papiertiger“ bleiben. Jeder Besuch einer Filiale ist aus Kundensicht ein relevanter Moment-of-Truth und das Marken- oder Leistungsversprechen muss zu 100% erlebbar sein. Egal ob es sich um eine umfangreiche Finanzierungsberatung, Abgabe eine Überweisungsträgers oder um einen Beschwerdefall handelt.  Hier wird dann auch spürbar, ob das Zusammenspiel mit den digitalen Kanälen nahtlos funktioniert. Ein echter Härtetest. Neben der funktionalen Leistung braucht es aber auch eine exzellente Qualität der zwischenmenschlichen Interaktion. Nur so wird die Filiale der Zukunft Ihre Rolle im „Konzert“ der digitalen Möglichkeiten behaupten können.

Sind nun Bankfilialen der „Klotz am Bein“ für die Zukunftsfähigkeit klassischer Retailbanken? Oder vielleicht ein Asset: der entscheidende Unterschied zu Fintechs, Direkt- und Neobanken? Neu positioniert, mit Drehbüchern, die radikal aus Kundenperspektive geschrieben sind und in neuem Setup haben Filialen, trotz fortschreitender digitaler Migration, gute Chancen auch weiterhin ein wichtige Rolle in der Bank der Zukunft  zu spielen und das kostbarste Gut der Finanzbranche gut abzusichern und positiv zu beeinflussen: dem Vertrauen Ihrer Kunden!    

2020-08-28T11:45:22+02:00