Vorwärts aus der Krise kommen – wie adaptive Kreditportfoliosteuerung helfen könnte.

Tunnel
Die Angst vor enormen Risiken verleitet einige Banken im Kreditgeschäft voll auf die Bremse zu treten. Aber das ist kontraproduktiv. Es braucht ein umfassendes Verständnis des Gesamtportfolios und dessen Dynamik – weit über die herkömmlichen Instrumentarien hinaus, eine gelungene Balance aus Ertrag und Risiko sowie eine große Portion Agilität um mit dem Kreditportfolio gut durch und aus der Krise zu kommen. Ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg ist dabei der Perspektivenwechsel in die Rolle des Kreditnehmers.

Wie wird das für die Bank ausgehen? Wie hohe Verluste werden wir einfahren? Jetzt nur nichts falsch machen! Besser kein Risiko mehr nehmen? Wie steuern wir das Kreditportfolio durch so schwierige Zeiten?

Allen im Kreditgeschäft, im Risikomanagement oder in der Steuerung der Bank werden solche Fragen wohl durch den Kopf gehen. Dazu ein paar Impulse aus den Erfahrungen der letzten großen Krise, ergänzt um die Erkenntnisse, die wir mittlerweile aus der adaptiven Banksteuerung gewonnen haben. Auch hier zeigt sich: Die gute Steuerung desKreditportfolios hat auch viel mit Haltung zu tun und der Fähigkeit in komplexen Situationen handlungsfähig zu bleiben. Aber der Reihe nach:

Die Dynamik des Kreditportfolios verstehen und dosiert Risiko nehmen

Die meisten Risikoanalysen haben einen sehr statischen Blick auf das Portfolio und unterstellen Abreifungen, die in einer Krisensituation nicht mehr so eintreffen: Laufzeiten verlängern sich vor allen in den mittleren und schwächeren Bonitäten und in schwerer betroffenen Branchen. Das Neugeschäft wird oft nicht in den gewünschten, sondern in den kritischen Segmenten des Portfolios beantragt und die instinktive Reaktion ist dann oft, sehr restriktiv damit umzugehen. Das ist aber alles andere als hilfreich, da eine Vollbremsung in der Kurve, wie beim Motorradfahren, nur eines verursacht: den sicheren Sturz.

Kreditportfoliosteuerung

Gerade jetzt ist es besonders wichtig, das Zusammenspiel aus Erträgen und Risikokosten im Zeitablauf zu betrachten. Das Risiko ist schon in den Büchern und die Ausfälle werden in den nächsten Quartalen steigen. Das können wir im Portfolio nur mehr abfangen,indem wir den besonders betroffenen Kreditnehmern helfen, nicht in die Sanierung zu rutschen und indem wir neue Erträge ins Portfolio dazubekommen.

Wenn wir aber das Neugeschäft einschränken, riskiert das gesamte Portfolio in eine negative Spirale zu gelangen: Risikokosten übersteigen die Erträge, der Eigenkapitalbedarf steigt aufgrund der Ratingmigrationen nach unten und gleichzeitig sinkt die Risikotragfähigkeit der Bank, weil Erträge wegbrechen. Wer sich so einbremst, kommt nur mehr schwer aus dem Abwärtsstrudel heraus, wie es ja einige Banken nach der Finanzkrise vorgezeigt haben.

Eine restriktivere Kreditvergabe (z.B. strengere Projektkriterien) und höhere Aufschläge führen zudem zu einer negativen Selektion derKreditnehmer. „Gute“ Bonitäten können sich die Banken weiter aussuchen. Die schwachen bleiben hängen. Setzt man die Kunden dann auch noch unter Druck, ruiniert man auch die Beziehung zu ihnen.

Dosiert Gas geben heißt die Devise. Risikokosten werden erst 2021 und 2022 steigen. Zusätzliche Erträge federn das ab und geben Spielraum in der Steuerung, die Problemfelder über die Jahre „herauswachsen“ zu lassen.

Rückwärtsspiegel hilft nicht – mit der Risikomodellierung richtig umgehen

Die vorherrschenden Risikosysteme unterstützen ein solches Vorgehen natürlich nicht. Sie betrachten ein Kreditportfolio nicht wie einen Garten, der über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg aufgebaut und gepflegt werden muss, sondern wieeine Terrasse, auf die man Pflanzen hinstellen und schnell wieder wegräumen kann. Sie kommen in ihren Denkansätzen ja auch aus dem Wertpapierhandel und Kapitalmarkt und unterstellen allein schon in den Annahmen eine Bewert- und Handelbarkeit der Kreditrisiken, die es so und gerade jetzt nicht gibt.

Die meisten Risikoberichte zeigen eine gute Analyse des Status des Portfolios und helfen dabei, Risikoverteilungensichtbar zu machen. Dabei sind sie nur eingeschränkt aussagefähig, um Trendwenden und deren Konsequenzen in Krisenszenarien zu zeigen. Allein schon daher, weil die oben beschrieben Dynamik von Ertrag und Risikokosten schweraus der Vergangenheit heraus modellierbar sind. Es ist wichtig, sich dieser Grundkonzepte und impliziten Zielsetzungen der Modelle bewusst zu sein. Nicht um sie abzulehnen, sondern um ihre Impulse für die Steuerung richtig einzuordnen.

Den Blick nach vorne bringen und adaptiv steuern

Wenn wir Steuerungsentscheidungen für die Zukunft treffen wollen, dann sollten wir unseren Blick auch   nach vorne richten. Und dafür helfen nur pragmatische und subjektive Einschätzungen möglicher künftiger Entwicklungen, um handlungsfähig zu bleiben. Natürlich faktenbasiert, aber leider nicht durch Modelle „scheinobjektivierbar“.

Wir brauchen eine subjektive Vorstellung über die möglichen künftigen Szenarien, daraus abgeleitete Hypothesen und Feedbackschleifen, um unsere getroffenen Maßnahmen immer wieder anzupassen – ein adaptives Vorgehen also, dashilft, den Widerspruch aus der Unvorhersehbarkeit der Zukunft einerseits und der Notwendigkeit von Richtungsentscheidungen andererseits aufzulösen. So bleibt die Bank handlungsfähig und schritt“weise“, adaptiv im Vorantasten der Entwicklung.

Solche Szenarien bilden am besten die erwartete Entwicklung und die Ereignisse ab, vor denen wir uns am meisten fürchten. Angst lässt sich am besten in konstruktive Handlung ummünzen, wenn wir auf das genau schauen, wovor wir uns fürchten.

Für eine Bank in Westösterreich zum Beispiel wird ein Szenario „Zweite Welle im Herbst“ weitreichende Konsequenzen haben, weil wir annehmen müssten, dass dann vielleicht  eine  ganze  Saison Schibetrieb nicht stattfinden kann. Welche Unterstützungsmaßnahmen helfen dann der Tourismusbranche und den zuliefernden Unternehmen. Wie kann man dasim Portfolio abfangen? Klug, jetzt schon Konzepte für den wenig wahrscheinlichen Fall vorzudenken.

Adaptiv heißt dann auch, diese Szenarien immer wieder an neue Erkenntnisse anzupassen und  die einzelnen Maßnahmen sehr differenziert nachzujustieren. Die Krise wird Branchen und Kreditnehmer sehr unterschiedlich treffen. Daher gilt es, eine große, grobe Grundstrategie festzulegen, aber auch viel Raum zu geben, um Maßnahmen auf Kreditnehmerebene so anzupassen, dass sie auch wirklich nutzen. Weil, wenn ich fürchten muss, mit großen Teilen des Portfolios durch eine tiefe Krise zu gehen, ist klar, dass das nur mit den Kreditnehmern und nicht gegen sie gehen wird.

Perspektivenwechsel Kunde

Zurück zum Vergleich Garten versus Terrasse: Auf einer Terrasse würde ich geschwächte Pflanzen vielleicht einfachwegwerfen und ersetzen, also wie Wertpapiere verkaufen. Aber im Garten, mit Bäumen und Pflanzen die 20, 30 oder mehrJahre brauchen, um so zu werden wie sie nun sind – genauso wie im Kreditportfolio langjährige Kreditbeziehungen– gehtdas nicht so einfach. Ich kann nur mit meinen Gewächsen oder Kreditnehmern durch die Krise. Wenn ich nicht mithelfe stirbt der Garten genauso wie seine Pflanzen. Aber Sie werden einwenden: was ist mit dem Unkraut, retten wir das mit?

Wo ist es besser etwas wegzuschneiden und auszudünnen, wo mehr zu unterstützen? Wieder braucht es eine nach vorne gerichtete Einschätzung. Hilft hier eine Bilanz 2018 um einzuschätzen, ob ein Kreditnehmer sein Unternehmen so transformieren kann, um in 2021 wieder ins Plus zu kommen?

Das entscheiden die unternehmerischen Fähigkeiten, das Geschäftsmodell und das Marktumfeld. Und diese drei Aspekte gilt es pragmatisch zu beurteilen.

Und das geht am besten, wenn man die Perspektive des Kunden einnehmen kann. Versteht, wo seine Herausforderungen liegen, welche unternehmerischen Fähigkeiten es für die Transformation des Geschäftsmodelles braucht. Dann weiß man auch als Bank, wie der Kunde einzuschätzen ist und wo man am besten helfen kann.Schließlich kommen aus so einem Prozess des „in den Schuhen des Kunden gehen“ auch Überlegungen und Ansätzeheraus, die zum Beispiel im Fall des Falles Wege finden, die Schitourismusindustrie im buchstäblichen Sinne vielleicht zu „überwintern“.

Es braucht eine offene und mutige Haltung im Umgang mit Komplexität

Aber das geht nur, wenn wir in der Bank eine angemessene Haltung wählen: wer Risikomanagement nur als Risikovermeidung und Regelerfüllung sieht, wird die Pflanzen mit dem Garten wegwerfen. Wer eine offene Haltung im Umgang mit Komplexität und die Kompetenz entwickelt, die Spannung zwischen der Unvorhersehbarkeit und notwendiger Handlungsfähigkeit auszuhalten, kann „auf Sicht fahrend“ passende Maßnahmen setzen, deren Wirkung evaluieren und nachjustieren. In kurzen Feedbackschleifen und mit hoher Eigenverantwortung der einzelnen Einschätzenden.

Orientierung kommt aus dem Willen, dass wir auch in 5 Jahren noch einen schönen Garten haben und für unsere Kunden, unseren Kreditnehmern das sein wollen. Wenn uns dieser Leitgedanke und der Purpose, das Anliegen der Bank treibt, dann setzen wir ganz andere Steuerungsimpulsen, als wenn wir in einem engen Korsett von restriktiven, angstgeprägten Handlungsanweisungen agieren müssen.

 

2020-09-01T17:29:19+02:00